von Sascha Petzold, Rechtsanwalt und Fachanwalt für Strafrecht
AG Tiergarten, v. 12.04.2016 – (255 Js) 253 Js 596/15 (19/15)
I. Das Problem
Wir Verteidiger erleben viel zu oft, dass Aussagen von Polizeibeamten unreflektiert Glauben geschenkt wird. Das AG Tiergarten hat wohltuend anders entschieden.
II. Zum Sachverhalt
Dem Angeklagten K. war durch Anklage der Staatsanwaltschaft Berlin vom 06.02.2015 vorgeworfen worden, am 21.09.2014 gegen 03.20 Uhr während einer Kontrolle wegen ruhestörenden Lärms an der Anschrift … in Berlin die Polizeibeamten Z. und F., als diese gerade das Grundstück betraten, mit den Worten: „Ihr verfickten Bullen habt kein Recht, mein Grundstück zu betreten“ beleidigt und die Angabe seiner Personalien verweigert zu haben.
Dem Angeklagten W. war durch dieselbe Anklage vorgeworfen worden, versucht zu haben, das Hereintreten der Polizeibeamten F. und L. in das Haus zu verhindern, um die weitere Personalienfeststellung hinsichtlich des Angeklagten K. zu vereiteln, indem er die
Terrassentür zugedrückt habe, obwohl der Zeuge F. mit seiner rechten Hand gegen den Türrahmen drückte, um das Schließen der Tür zu verhindern, wobei die rechte Hand zwischen der Tür und der Zarge schmerzhaft eingeklemmt worden sei, was der Ange-klagte W. bemerkt, aber dennoch weiter gegen die Tür gedrückt habe, um diese zu schließen.
III. Aus den Gründen
Von diesem Tatvorwurf waren die Angeklagten aus tatsächlichen Gründen freizusprechen, da insbesondere den Angaben der Zeugen Z. und F. keinerlei Glauben geschenkt werden konnte, denn in vielen Punkten ergaben sich hieraus nicht nur erhebliche Widersprüche untereinander, sondern auch hinsichtlich der Angaben der weiteren Zeugen, die bei dem Polizeieinsatz anwesend waren.
Hinsichtlich des Angeklagten W. konnte unabhängig von den Zweifeln, ob der Zeuge F. tatsächlich verletzt worden war, zudem nicht ausgeschlossen werden, dass der Angeklagte die zwei Polizeibeamten, die das Haus betraten wollten, nicht wahrnahm und lediglich die schon seit längerer Zeit klemmende Terrassentür mit Nachdruck zu schließen versuchte.
IV. Konsequenzen für die Praxis
Polizeibeamte als Zeugen stellen für die Strafverteidigung regelmäßig eine besondere Herausforderung dar.* Die Redlichkeit der Polizeizeugen wird von Verteidigung und Strafjustiz unterschiedlich wahrgenommen.
* Meinicke Vernehmung von Berufszeugen, in Gerst, Zeugen in der Hauptverhandlung, 1. Aufl. 2016, Rn. 185 ff.; Malek Verteidigung in der Hauptverhandlung, 4. Aufl. 2011, Rn. 512 ff.; Burhoff Handbuch für die strafrecht-liche Hauptverhandlung, 8. Aufl. 2016; Rn. 3124 ff.
Der Alltag zeigt aber, dass der Vertrauens-vorschuss häufig nicht gerechtfertigt ist. Die Protokolle sowie Aussagen der Polizeibe-amten sind abgesprochen bis abgeschrieben.
Sie haben Angst vor disziplinarrechtlichen Folgen bei Dienstvergehen. Freisprüche werden von vielen als Zerstörung der „guten Polizeiarbeit“ missverstanden. Dabei stehen die Polizisten unter erheblichen Erfolgsdruck.
Immer wieder erleben wir auch polizeiliche Prozessbeobachter und „gut vorbereitete“ Polizeizeugen.
Die von der Rechtsprechung erfundene Vorbereitungspflicht für Polizeizeugen (sich also anhand Vermerken und Protokollen ihre Erinnerungen „aufzufrischen“) ist nicht nur rechtlich zweifelhaft, sondern auch aussagepsychologisch ein NoGo.*
* Zu Recht ablehnend Malek a.a.O., Rn. 513; Krehl Die Erkundigungspflicht des Zeugen bei fehlender oder beeinträchtigter Erinnerung und mögliche Folgen ihrer Verletzung, NStZ 1991, 416.
Unkritisch werden Aussageprotokolle ohne datenschutzrechtliche Legitimation aufge-hoben (=gespeichert) oder gar auf der alten Dienststelle eingesehen.
Es ist ein harter Kampf für die Verteidigung, diese Unregelmäßigkeiten in das Verfahren einzubringen. Es kann sich aber lohnen, wie diese Entscheidung zeigt.
Übrigens – selbst wenn die Polizeiaussagen – wie so häufig – übereinstimmend ausfallen; nach der Lagerrechtsprechung* ist regel-mäßig von der Beweiskonstellation „Aussage gegen Aussage“ auszugehen, so dass eine besondere Glaubhaftigkeitsprüfung notwendig ist.
* OLG Frankfurt, Beschluss vom 06.11.2009 – 1 Ss 390/08 = StV 2011, 12; OLG Karlsruhe, Beschluss vom 22.3.2005 – 2 Ss 2/05 = StraFo 2005, 250.