Der Videobeweis im Strafverfahren – Teil 3

4.    Verwendungsverbote, Beweiserhebungs- und Beweisverwertungsverbote 

von Hans Meyer-Mews, Rechtsanwalt und Fachanwalt für Strafrecht, Bremen
veröffentlicht in confront 2016, Heft 2

Jegliche Nutzung der Ergebnisse einer Videoüberwachung ‚an § 6b BDSG vorbei‘ ist gemessen an § 4 I BDSG unzulässig.* Die Erhebung, Verarbeitung und Nutzung personenbezogener Daten ist nach § 4 I BDSG nämlich nur zulässig, soweit das BDSG oder eine andere Rechtsvorschrift es erlaubt oder anordnet oder der Betroffene eingewilligt hat. Wegen § 4 I BDSG unterliegen die durch rechtswidrige Überwachung erlangten Informationen einem strafprozessualen Beweisverwertungsverbot.**

* Vgl. Venetis/Oberwetter aaO., S. 1055.
** vgl. Alter, NJW 2015, 2375, 2380 mwN.

Der 2. Strafsenat des Bundesgerichtshofs ist dessen ungeachtet zuletzt zu einem anderen  Ergebnis gekommen:

»Ungeachtet der Frage der Rechtmäßigkeit der Beweiserhebung bestehen an der Zulässigkeit der Beweisverwertung keine Bedenken, wenn Audio- oder Videodateien unmittelbar die dem Angeklagten zur Last liegende Tat dokumentieren, deren vollständige Aufklärung im besonderen öffentlichen Interesse liegt. Der
absolut geschützte Kernbereich der Persönlichkeitsentfaltung (Art. 2 Abs. 1 GG in Verbindung mit Art. 1 Abs. 1 GG) ist durch eine solche Verwertung nicht berührt, weil das öffentliche Interesse an einer umfassenden Aufklärung der Straftat
überwiegt (vgl. BGHSt 57, 71).«*

* BGH, Urt. v. 07.01.2016 – 2 StR 202/15 = HRRS 2016, Nr. 343.

Der 2. Strafsenat wendet in dieser Entscheidung die Abwägungslösung an, ohne dabei § 4 I BDSG zu berücksichtigen. Danach ist die Erhebung, Verarbeitung und Nutzung personenbezogener Daten nur zulässig, soweit das BDSG oder andere Rechtsvorschriften  es erlauben oder der Betroffene iSd § 4a I BDSG eingewilligt hat.*

* Vgl. VG Schwerin, Beschl. v. 18.06.2015 – 6 B 1637/15, Rn. 23f.; juris.

Die Begriffe Verarbeitung und Nutzung erstrecken sich auch auf die Verwertung privater Videoaufzeichnungen in Strafverfahren. Unter Erheben ist danach das Beschaffen vonDaten über den Betroffenen [§ 3 III BDSG] zu verstehen.* Verarbeiten ist nach § 3 IV BDSG u.a. das Speichern und Übermitteln personenbezogener Daten. Unter Nutzen ist gemäß § 3 V BDSG jede Verwendung personenbezogener Daten, soweit es sich nicht um Verarbeitung handelt, zu verstehen. Erfasst ist jeder zweckbestimmte Gebrauch  personenbezogener Daten.**

* Vgl. Schild in: Wolff/Brink, Datenschutzrecht (2013), § 3. Rn. 51
** Vgl. Gola/Schomerus, BDSG12, § 3 Rn. 42.

Dass mit den in § 4 I BDSG gebrauchten Bezeichnungen  Verarbeiten und Nutzen auf die Verwendungsbefugnis Bezug genommen wird, ergibt sich nicht zuletzt aus der amtlichen  Begründung zum Telekommunikationsgesetz, wenn es dort heißt:

»Um die Angleichung an die Terminologie des BDSG zu verbessern, wurden die Begriffstrias ‚Erheben, Verarbeiten und Nutzen‘ durch das Begriffspaar ‚Erheben  und Verwenden‘ ersetzt. Dies stellt inhaltlich keine Änderung dar«. *

* amtl. Begr. zum Abschnitt 2 – Datenschutz; BR-Drs. 755/03.

Mit Verarbeiten und Nutzen iSd § 3 BDSG ist jede Form des Verwendens gemeint.* Mithin ordnet das Gesetz in § 4 I BDSG ein absolutes abwägungs- und widerspruchsfestes Beweisverwertungsverbot und darüber hinaus ein Verwendungsverbot an.** Danach verböte sich die Verwendung im Strafverfahren erlangter Videobeweise, sofern deren  Erhebung gemessen an § 6b BDSG oder an strafprozessualen Vorschriften unzulässig war.

* Vgl. Schild in: Wolff/Brink, aaO., § 3, Rn. 50 mwN.
** Vgl. Alter NJW 2015, 2375; 2380; Venetis/Oberwetter NJW 2016, 1051, 1055.

Daneben besteht ein vorgelagertes Beweiserhebungsverbot. Der Imperativ des § 4 I BDSG hat zur Folge, dass das aus § 4 I BDSG resultierende Beweis(verwertungs)verbot abwägungsfest ist. Einzige Ausnahme von diesem absoluten Beweisverwertungsverbot ist die Einwilligung des Betroffenen. Durch das Erfordernis der Einwilligung erweist sich das Verwertungsverbot aus § 4 I BDSG, indem es in § 4a BDSG eine qualifizierte Einwilligung verlangt und damit die Widerspruchslösung suspendiert, zudem als widerspruchsfest.

Inhaltlich ist die (private) Videoüberwachung öffentlich zugänglicher Räume durch § 6b BDSG abschließend geregelt.* § 6b BDSG begrenzt die Beobachtung des öffentlich zugänglichen Raums insbesondere auch in den Fällen, in denen sie nicht auf die Beobachtung der betroffenen Personen durch Videoaufzeichnungen ausgerichtet ist.**

* Vgl. VG Schwerin, aaO., Rn. 25.
** Vgl. VG Schwerin, aaO., Rn. 33f. unter Hinweis auf LG Essen, Urt. v. 26.06.2014 – 10 S 37/14; juris.

Nach § 6b I Nr. 3 BDSG ist die Videoüberwachung des öffentlich zugänglichen Raums indessen zur Wahrnehmung sonstiger berechtigter Interessen erlaubt. Danach ist ein berechtigtes Interesse anzunehmen, wenn es wirtschaftlicher oder ideeller Art ist, von der Rechtsordnung nicht missbilligt wird und auf einen konkreten Nutzungs- oder Verarbeitungszweck gerichtet ist.* In den Fällen, in denen ein sonstiges berechtigtes Interesse iSd § 6b I Nr. 3 BDSG anzunehmen wäre, ist eine Interessenabwägung mit den schutzwürdigen Interessen der beobachteten Personen vorzunehmen.**

* Vgl. VG Schwerin, aaO., Rn. 36; unter Hinweis auf VG Berlin, Urt. v. 13.01.2014 – 1 K 220.12, Rn. 22; juris.
** Vgl. VG Schwerin, aaO., Rn. 37f.

5.  Datenschutz nach Art. 8 GRCh

Durch die Charta der Grundrechte der Europäischen Union [=GRCH] wird erstmalig ein Grundrecht der Bürger der Europäischen Union auf Datenschutz gewährleistet. Nach Art. 8 I GRCh hat jede Person das Recht auf Schutz der sie betreffenden personenbezogenen Daten. Absatz 2 Satz 1 bestimmt, dass diese Daten nur nach Treu und Glauben für festgelegte Zwecke und mit Einwilligung der betroffenen Person oder auf einer sonstigen gesetzlich geregelten legitimen Grundlage verarbeitet werden dürfen. Art. 8 GRCh verpflichtet den Staat auch, den Schutz persönlicher Daten gegenüber Privaten abzusichern.* Auch die Rechtmäßigkeit der Datenverarbeitung durch Privatpersonen  richtet sich somit nach Art. 8 GRCh.**

* vgl. Jarras, GRCh, Art. 8, Rn. 10 mwN.
** vgl. Jarras, GRCh, aaO.

Schon Art. 8 GRCh ist eine strenge Gesetzesbindung zu entnehmen. Für eine Abwägung lässt die ausschließliche Gesetzesbindung keinen Raum. Nach Art. 52 I S. 1 GRCh muss jede Einschränkung der Ausübung der in der Charta anerkannten Rechte gesetzlich vorgesehen sein [Gesetzesvorbehalt] und den Wesensgehalt dieser Rechte und Freiheiten achten. Nach Satz 2 dürfen solche Einschränkungen unter Wahrung des Grundsatzes der Verhältnismäßigkeit nur vorgenommen werden, wenn sie erforderlich sind, den von der Union anerkannten dem Gemeinwohl dienenden Zielsetzungen oder den Erfordernissen des Schutzes der Rechte und Freiheiten anderer tatsächlich entsprechen. Aus Art. 52 I GRCh folgt nach der Rspr. des EuGH, dass das die unter Gesetzesvorbehalt stehende  Einschränkung ausreichend bestimmt und vorhersehbar sein muss:

»Dieser Grundsatz, der Bestandteil der Rechtsordnung der Gemeinschaft ist (vgl. Urteil vom 21. September 1983 in den verbundenen Rechtssachen 205/82 bis 215/82, Deutsche Milchkontor u.a., Slg. 1983, 2633, Rn 30), folgt zwingend aus dem Grundsatz der Rechtssicherheit, der gebietet, dass Rechtsvorschriften klar und bestimmt sein müssen und die Voraussehbarkeit der unter das Gemeinschaftsrecht  fallenden Tatbestände und Rechtsbeziehungen gewährleisten soll.«*

* EuGH, Urt. v. 15.02.1996, Rs. 63/93, Slg. 1996 I, 569, Rn. 20.

Das die Einschränkung zulassende Gesetz muss so genau sein, dass die Betroffenen die  Folgen voraussehen können.*

* Vgl. Jarras, GRCh (2010) Art. 52, Rn. 29, unter Hinweis auf EGMR-E 1, Rn. 47.

Ist die Einschränkung des Grundrechts – hier Art. 8 GRCh – auf ungesetzliche Weise erfolgt, so ist die Folge, dass das solchermaßen unrechtmäßig erlangte Beweisergebnis verwertet wird, für den Betroffenen nicht vorhersehbar. Dies gilt gerade dann, wenn die Verwertung aufgrund einer Abwägung erfolgt. § 6b III BDSG dürfte mit den Anforderungen des europäischen Datenschutzrechts an die Bestimmtheit der gesetzlichen Eingriffsbefugnis nur schwer vereinbar sein. Der Datenschutz verfolgt gerade den Zweck, die Überwachung von (Privat-) Personen zum Schutz des allgemeinen Persönlichkeitsrechts und insbesondere der informationellen Selbstbestimmung auf die vorhersehbaren Fälle zu begrenzen. Damit dürfte eine völlig unbestimmte allgemein gehaltene Einschränkungsbefugnis kaum vereinbar sein. Fraglich ist, § 6b I Nr. 3 BDSG als Eingriffsermächtigung gemessen an Art. 52 I GRCh ausreichend bestimmt ist.

III. Identifizierung

Bei der Einführung der Videoaufzeichnungen zu Beweiszwecken in die Hauptverhandlung handelt es sich um die Inaugenscheinnahme zum Zweck der Feststellung, ob die gefilmte Person mit der in der Hauptverhandlung anwesenden Angeklagten identisch ist. Der Sache nach geht es um die Wiedererkennung in der Hauptverhandlung. Hierfür hat die  Rspr. inzwischen anerkannte Grundsätze aufgestellt.

»Soll eine Identifizierung ausnahmsweise erst in der Hauptverhandlung
durchgeführt werden, muss, um jede Beeinflussung des Zeugen zu vermeiden, bei einer erstmaligen Gegenüberstellung in der Hauptverhandlung insbesondere sichergestellt werden, dass der Angeklagte nicht schon durch seine Platzierung im Gerichtssaal als Tatverdächtiger hervorgehoben wird. Darüber hinaus sind auch unter diesen Bedingungen alle sonstigen Regeln der Wahlgegenüberstellung  oder Lichtbildvorlage einzuhalten.«*

* OLG Rostock, Beschl. v. 29.3.1996 – 2 Ss 217/95 I 7/96= StV 1996, 419; ebenso: OLG Köln, Beschl. v. 19.6.1998 – Ss 151/98= StV 1998, 640.

Eine iSd Rspr. der Oberlandesgerichte Rostock und Köln regelgerechte Wiedererkennung ist nicht mehr möglich, nachdem der Angeklagte als solcher in der Hauptverhandlung erschienen, seine Personalien festgestellt und er schon aufgrund der Sitzordnung als Angeklagte erkennbar ist. Die – womöglich ohnehin unverwertbaren – Videoaufzeichnungen sind schlussendlich aufgrund der fehlerhaften Wiedererkennungsprozedur als Beweis mithin völlig ungeeignet.

Selbst bei regelgerechter Wiedererkennung  aufgrund rechtmäßig durchgeführter Videoüberwachung wäre zu beachten, dass nach Ansicht des Bundeskriminalamts die sichere Identifizierung einer Person voraussetzt, dass das Gesicht der Person etwa ein Viertel der Bildhöhe einnehmen muss, was absolut in etwa 150 Videozeilen entsprechen  würde* Das soll jedenfalls bei relativ geringer Bildauflösung gelten.

* Behördengutachten des BKA vom 25.07.2016, Az.: KT 51-A2014/3397/3, erstattet im Verfahren des LG Erfurt zum Az.: 860 Js 23789/14-1 Ks; so auch Diplom-Kriminalist (Univ.) Ulrich Diesel in einem Gutachten für das LG Hamburg.

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