Der Videobeweis im Strafverfahren – Teil 1

 – Voraussetzungen, Verwendungs- und Verwertungsverbote*

von Hans Meyer-Mews, Rechtsanwalt und Fachanwalt für Strafrecht, Bremen
veröffentlicht in confront 2016, Heft 2

*    Leicht geänderte und aktualisierte Fassung des Vortrags, den der Verfasser auf der Hauptverhandlungstagung 2016 in Freyburg (Unstrut) gehalten hat.

I. Grenzen staatlicher und privater Ausspähung

1. Das Recht auf informationelle Selbstbestimmung (Art. 1 I, 2 I GG)

Zum Schutzbereich des aus Art. 1 I, 2 I GG abgeleiteten allgemeinen Persönlichkeitsrechts zählt auch das Recht auf informationelle Selbstbestimmung.* Durch Videoaufzeichnungen wird in das Recht auf informationelle Selbstbestimmung eingegriffen.** Dieses Recht umfasst die Befugnis des Einzelnen, grundsätzlich selbst zu entscheiden, wann und innerhalb welcher Grenzen ihn betreffende personenbezogene Daten und Lebenssachverhalte offenbart werden, und daher grundsätzlich selbst über die Preisgabe und Verwendung persönlicher Daten zu bestimmen.***

Durch die Aufzeichnung des mittels Videoüberwachung gewonnenen Bildmaterials werden die beobachteten personenbezogenen Vorgänge technisch fixiert und können unbegrenzt verwendet werden. Mithin können sie zu Beweiszwecken abgerufen, und verwertet werden. Die Identifizierung Tatverdächtiger ist beabsichtigt und wird durch die installierten Videoüberwachungsanlagen technisch ermöglicht. Dass die Erhebung derartiger personenbezogener Daten einen Eingriff in das Recht auf informationelle Selbstbestimmung darstellt, ist evident, und  entspricht ständiger Rspr. des BVerfG.****

* vgl. BVerfGE 65, 1 [Volkszählungsurteil].
** vgl. BVerfG, Beschl. v 11.08.2009 – 2 BvR 941/08=NJW 2009, 3293.
*** vgl. BVerfGE 65, 1; 42 f.
**** vgl. BVerfG, Beschl. v 11.08.2009, aaO.; BVerfGE 120, 378; 397 ff.; BVerfGK 10, 330, 336 f.

Der Eingriff in das Grundrecht entfällt nach der Rspr. des BVerfG nicht etwa dadurch, dass lediglich Verhaltensweisen in der Öffentlichkeit erhoben wurden. Denn das allgemeine Persönlichkeitsrecht gewährleistet nicht allein den Schutz der Privat- und Intimsphäre, sondern trägt in Gestalt des Rechts auf informationelle Selbstbestimmung auch der Datenhoheit des Einzelnen in der Öffentlichkeit Rechnung.* Anders wäre es nur, wenn die Daten ungezielt und allein aus rein technischen Gründen zunächst miterfasst, dann aber ohne zusätzlichen Erkenntnisgewinn, wieder gelöscht werden, sodass aus diesem Grund die Eingriffsqualität verneint werden könnte.** Videoaufzeichnungen, auf denen Tat-verdächtige zu sehen sind, sind gerade dafür bestimmt, in einem Strafverfahren als Beweismittel genutzt zu werden.

* vgl. BVerfGE 65, 1, 45; BVerfGE 120, aaO, 398 f.; BVerfGK 10, aaO.
** vgl. dazu BVerfGE 115, 320, 343; BVerfGE 120, aaO, 399.

Das Recht auf informationelle Selbstbestimmung ist nicht absolut, es ist vielmehr der Einschränkung im überwiegenden Allgemeininteresse zugänglich. Diese bedarf jedoch einer gesetzlichen Grundlage, die dem rechtsstaatlichen Gebot der Normenklarheit entspricht und verhältnismäßig ist.* Anlass, Zweck und Grenzen des Eingriffs müssen in der Ermächtigung bereichsspezifisch, präzise und normenklar festgelegt werden. **

* vgl. BVerfGE 65, aaO; 43 f.; BVerfGE 120, aaO, 401 ff.; BVerfGK 10, aaO, 337.
** vgl. BVerfGE 65, 1, 44 ff.; BVerfGE 100, 313, 359 f.; BVerfGK 10, aaO, 337 f.

Dies ist erforderlich, weil das allgemeine Persönlichkeitsrecht den besonderen Schutz der Rechtsordnung erfordert, damit die Bürger ihre Persönlichkeit möglichst ungefährdet entfalten können. So hat der Gesetzgeber genau aus diesem Grund die Verletzung des höchstpersönlichen Lebensbereichs durch Bildaufnahmen in § 201a StGB unter Strafe gestellt.

Der § 201a StGB schützt die Bestimmungsbefugnis des Einzelnen über Informationen aus seinem höchstpersönlichen Lebensraum als Teil des allgemeinen Persönlichkeitsrechts und des Rechts auf informationelle Selbstbestimmung.* Aus der Ultima-Ratio-Funktion des Strafrechts folgt im Übrigen, dass Private selbst dann zur Achtung des allgemeinen
Persönlichkeitsrechts und des Rechts auf informationelle Selbstbestimmung verpflichtet sind, wenn dies nicht strafbar ist. Vor allem aber darf der Staat, der zur Achtung des allgemeinen Persönlichkeitsrechts und damit zugleich des Rechts auf informationelle Selbstbestimmung durch Art 20 III GG besonders verpflichtet ist, sich nicht unter Verletzung des allgemeinen Persönlichkeitsrechts gewonnene Daten zugänglich machen, um sie im Strafverfahren als Beweismittel zu verwenden; weil der Staat aus Eingriffen ohne Rechtsgrundlage keinen Nutzen ziehen darf.** Soweit unbefugt gefertigte Bildaufnahmen nicht nach § 201a StGB strafbewehrt sind, handelt es sich hierbei zumindest um eine  Ordnungswidrigkeit nach § 43 II BDSG, womöglich sogar um eine Straftat nach § 44 BDSG.

* vgl. Fischer, StGB, § 201a Rn. 3 mwN.
** vgl. BGH NJW 2007, 2269.

In seinem Urteil zur Vorratsdatenspeicherung vom 02.03.2010 hat das BVerfG ausgeführt, dass eine dem Verhältnismäßigkeitsprinzip genügende Ausgestaltung von Eingriffen in das allgemeine Persönlichkeitsrecht in Form des Rechts auf informationelle Selbstbestimmung wirksame Sanktionen bei Verletzung dieses Rechts voraussetzt.* Würden nämlich Verletzungen des allgemeinen Persönlichkeitsrechts idR sanktionslos bleiben mit der Folge, dass der Schutz des Persönlichkeitsrechts angesichts seiner immateriellen Natur verkümmern würde**, widerspräche dies der Verpflichtung der staatlichen Gewalt, dem Einzelnen die Entfaltung seiner Persönlichkeit zu ermöglichen*** und ihn vor Persönlich-keitsrechtsgefährdungen durch Dritte zu schützen.**** Damit steht fest, dass rechtswidrige Eingriffe in das Recht auf informationelle Selbstbestimmung nicht folgenlos  bleiben dürfen.

* vgl. BVerfG, Urt. v. 02.03.2010 – 1 BvR 256/08 -, – 1 BvR 263/08 -, – 1 BvR 586/08 -; Rn 252.
** Vgl. BVerfG, Beschl. v. 11.11.2009 – 1 BvR 2853/08 -, Rn. 21; BGHZ 128, 1, 15.
*** BVerfGE 35, 202; 220 f.; BVerfG 63, 131; 142 f.; BVerfG 96, 56, 64.
**** vgl. BVerfGE 73, 118, 210; BVerfGE 97, 125, 146; BVerfGE 99, 185, 194 f.; BVerfGK 6, 144, 146.

In seiner vorstehend zitierten Entscheidung zur verdachtsunabhängigen Video-überwachung – veröffentlicht u.a. in NJW 2009, 3293hat das BVerfG die Frage, welche Folgen rechtswidrige Eingriffe in das Recht auf informationelle Selbstbestimmung nach sich ziehen, allerdings den Fachgerichten bzw. dem Gesetzgeber überlassen. Indessen haben die Fachgerichte diese Frage inzwischen weitgehend im Sinne eines Beweisverwertungsverbots entschieden.* Ebenso bestehen – mangels zureichender gesetzlicher Grundlage – Bedenken gegen den Einsatz sog. Minischulterkameras [Body-Cams] bei der Polizei.**

* vgl. OLG Bamberg, Beschl. v. 16.11.2009 – 2 ss OWi 1215/09; AG Schweinfurt, Urt. v. 31.08.2009 – 12 OWi 17 JS 7822/09; AG Eilenburg, Beschl. v. 22.09.2009 – 5 OWi 253 Js 53556/08; AG Saarbrücken, Urt. v. 02.10.2009 -22 OWi  66 Js 1396/09; AG Meißen, Urt. v. 14.10.2009 – 13 OWi 705 Js 30975/09; AG Grimma, Urt. v. 22.10.2009 – 3 OWi 151Js 33023/09; AG Saarbrücken 11.11.2009 – 22 OWi 66 Js 1585/09 [901/09]; AG Lübben, Urt. v. 01.12.2009 – 40 OWi 1611 Js 29636/08 [313/08].
** vgl. Clemens Arzt, Einführung von Minischulterkamera bei der Polizei erproben, Gutachten vom 20.05.2014 Drucksache 16/5923 Landtag NRW.

2.    Videoüberwachung durch Private

Wie verhält es sich aber, wenn die Videoaufzeichnungen durch Private zum Teil in Privat-räumen, die allerdings öffentlich zugänglich sind, veranlasst worden sind. Fraglich ist, ob auch Private das Recht auf informationelle Selbstbestimmung zu achten haben. Es stellt sich mithin die Frage nach der mittelbaren oder unmittelbaren Drittwirkung von Grundrechten. Dazu hat das BVerfG ausgeführt:

»Eine Bindung des Richters an die Grundrechte kommt […] insoweit in Betracht, als das Grundgesetz in seinem Grundrechtsabschnitt zugleich Elemente objektiver Ordnung aufgerichtet hat, die als verfassungsrechtliche Grundentscheidung für alle Bereiche des Rechts Geltung haben, […]. Hier wirkt der Rechtsgehalt der Grundrechte über das Medium der das einzelne Rechtsgebiet unmittelbar
beherrschenden Vorschriften, insbesondere der Generalklauseln und sonstigen auslegungsfähigen und auslegungsbedürftigen Begriffen, die im Sinne dieses  Rechtsgehalts ausgelegt werden müssen, auf dieses Rechtsgebiet ein.«*

* Vgl. BVerfG, NJW 1987, 827.

Zu den verfassungsrechtlichen Grundentscheidungen im Sinne der vorstehend zitierten Rspr. zählt auch die Anerkennung eines allgemeinen Persönlichkeitsrechts, das u.a. im Recht auf informationelle Selbstbestimmung eine Konkretisierung erfahren hat. Das durch Art. 2 I GG iVm Art. 1 I GG geschützte Persönlichkeitsrecht umfasst insbesondere auch den Schutz der Privatsphäre und das Recht am eigenen Bild.* Verletzungen des Rechts am eigenen Bild durch Private können sowohl Unterlassungsansprüche** als auch deliktische Ansprüche des Verletzten gem. § 823 I BGB nach sich ziehen.*** Mithin steht fest, dass sich die mittelbare Drittwirkung der Grundrechte auf das allgemeine Persönlichkeitsrecht erstreckt. Das allgemeine Persönlichkeitsrecht der mittels Videoüberwachung durch Private aufgenommenen Personen wird sowohl durch die Aufnahme als auch durch die  Speicherung und schließlich durch die Weitergabe Videoaufnahmen verletzt.

* vgl. BVerfGE 101, 361, 379, 381 f. = NJW 2000, 1021, 1022 mwN.
** Vgl. LG Memmingen, 14.01.2016 – 22 O 1983/13.
*** vgl. BGHZ 131, 332, 340 mwN.

Sofern die durch Private gefertigten Videoaufzeichnungen von den Ermittlungsbehörden anlässlich einer Durchsuchung einer Wohnung eines Fahrzeugs oder von Geschäftsräumen sichergestellt worden sind, kommt es für die Verwertbarkeit dieses Beweismittels neben der Rechtmäßigkeit der Datenerhebung durch die Überwachungsmaßnahme entscheidend auch darauf an, ob der Richtervorbehalt beachtet worden ist. Haben die Ermittlungsbehörden keinen richterlichen Durchsuchungsbeschluss erwirkt und auch nicht versucht, einen Richter zu erreichen oder die Maßnahme nachträglich richterlich genehmigen zu lassen, unterliegen die so gewonnenen Beweise einem Beweis-
verwertungsverbot.* Auf das Denkmodell eines hypothetisch rechtmäßigen Ermittlungs-verlaufs kommt es nach dieser Entscheidung gerade nicht an, weil ansonsten der  Richtervorbehalt leerlaufen würde.**

* Vgl. BGH, Beschl. v. 21.04.2016 – 2 StR 394/15, Rn. 14ff. unter Bezugnahme auf BVerfGE 113, 29, 61; BGH NJW 2006, 2684, 2686; BGH NJW 2011, 2783f.
** Vgl. BGH, aaO., Rn. 16.

Die Videoüberwachung durch Private unterliegt einer strafprozessualen Präklusion: Was den staatlichen Strafverfolgungsbehörden untersagt ist, ist auch Privaten untersagt.* Aus diesem Grunde unterliegen auch die Erkenntnisse, die mittels Dash-Cam-Aufzeichnungen gewonnen werden konnten, einem Verwendungsverbot.** Videoüberwachungen, die zum Erstellen vollständiger Persönlichkeitsbilder führen [Rundumüberwachung], berühren die Menschenwürde und sind unzulässig. Ein Hotel, in dem im Foyer und auf den Fluren Videoüberwachungsanlagen installiert sind, bewirkt damit eine Rundumüberwachung seiner Mitarbeiter und Gäste. Dies gilt insbesondere dann, wenn zusätzlich noch erfasst  wird, mit welchem Schlüssel die Türen wann geöffnet wurden.

* Bockemühl Private Ermittlungen im Strafprozess (1996), S. 86.
** vgl. LG Heilbronn ZD 2015, 233; Gola/Klug NJW 2015, 2628, 2629.

Der Beitrag wird im Teil 2 fortgesetzt.

 

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